#15 Halbzeit

#15 Halbzeit

Hallo Welt!

Heute ist Halbzeit – 180 Tage liegen hinter mir – und noch 180 vor mir.

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In 180 Tagen um die Welt – das gilt nicht vollständig für mich, wohl eher – schon 180 Tage in einer anderen Welt. Aber ja, dieser Blogeintrag soll dazu dienen, ein kleines Update zu geben. Diesmal nicht, wo ich gerade bin, was ich gerade mache – sondern was diese 180 Tage mit mir gemacht haben. So kommt es mir doch eigentlich erst wie gestern vor, als mich meine Familie zum Flughafen gebracht hat und meine Mutter mir noch schnell einen Abschiedsbrief in die Hand gedrückt hat. – Oder – dass ich wie die meisten der CBYX’ler eine Abschiedsparty gefeiert habe. Die Zeit vergeht – wie das halt so aus der Vogelperspektive ist – wie im Flug!

Häufig stellen mir Leute die Frage: Sag mal Daniela, wie sind denn eigentlich die Amerikaner? – Früher hätte ich wohl versucht, die Amerikaner ein bisschen klischeehaft darzustellen. Und heute? Heute stelle ich die Gegenfrage: Sag mal, was ist denn eigentlich ein Amerikaner für dich? Ist ein Amerikaner jemand der in Alaska lebt? Im heißen Californien? Im regnerischen Washington? Im Inselstaat Hawaii? In North Dakota? – Amerika lebt davon, dass es so groß, so unterschiedlich und in mancher Hinsicht auch so gespalten ist – genau das macht auch die USA aus.

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Ich bin in dieser Zeit sehr gewachsen, um wieder beim Thema Vogel zu bleiben: vom Küken aus dem Ei zum fliegenden Vogel, der nun mehr Überblick hat. Ich sehe Dinge anders, hinterfrage sie. Zu Beginn meiner Reise hatte ich häufig das Gefühl, nicht diese amerikanische Lockerheit zu haben und einfach Menschen anzuquatschen.

Ich denke in dieser Hinsicht habe ich mich sehr gebessert. Ich zögere jetzt nicht mehr Menschen einfach etwas zu Fragen, Gespräche zu führen – denn ich weiß – für sie ist das ganz normal – und für mich entstehen so einzigartige Aufnahmen von Menschen, die mein Auslandsjahr bereichern.

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Ich war schon immer ehrgeizig, hatte ein Ziel im Kopf. Ja 4 Bewerbungen für das PPP ist eine Menge – aber ich bereue keine Sekunde. Das ist das Jahr meines Lebens und ich weiß es sehr zu schätzen!

In diesen 180 Tagen habe ich auch gemerkt, was in mir steckt. Ich bin alleine zu Wanderwegen gefahren, einfach losgelaufen – und obwohl ich nicht mehr konnte, Schmerzen oder nasse Füße hatte, einfach weitergelaufen. Über meine Grenzen hinaus – oder besser gesagt – wo ich dachte, dass meine Grenzen sind. Ich kann alles erreichen, wenn ich nur hart genug an mir arbeite und nur weiter dran bleibe. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich freiwillig nochmals einen Wanderweg laufe, der mich beim ersten Mal schon völlig bis ans Letzte gebracht hat, dann hätte ich ihm wahrscheinlich (Achtung: Wortwitz!) den Vogel gezeigt! Und ich habe ihn sogar 30 Minuten schneller geschafft – natürlich immer noch nicht so schnell wie die trainierten Wanderprofis um mich herum – aber ich habe auch gelernt, es macht meine Erfahrung nicht weniger wert. Ich habe das Ziel auch erreicht. Und wahrscheinlich ist sogar der eigentliche Weg das Ziel. Wie auch beim Auslandsjahr – das Ziel war Amerika – jetzt geht es darum den Weg zu genießen, alles mitzunehmen.

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Meine Interessen haben sich auch geändert – wo ich sonst immer neue Städte erkunden wollte – so reizen mich Städte gerade gar nicht mehr. Sie wiederholen sich. Aber diese Natur hier, die ist einzigartig. Ob der Grand Canyon oder Mount Rainier Nationalpark – dass sind die Momente, die mir den Atem rauben.

Ich werde auch häufig gefragt: Kannst du dir vorstellen dort zu Leben? – Wahrscheinlich ja – aber nur für ein paar Jahre. Ich habe meine Heimat sehr schätzen gelernt. Es gibt auch kein englisches Wort, dass das Wort Heimat beschreiben kann. Es ist nicht „home“ also „zuhause“, denn dass bin ich ja eigentlich auch in Washington. Aber die Heimat – da wird wohl immer ein Stück des Herzens sein.

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Ich habe wirklich viele gute Dinge an Deutschland erkannt: Man muss keine 700 Dollar/Monat für eine Krankenversicherung zahlen. Man hat sehr viele Arbeitsschutzgesetze und es gibt Tarifverträge. Wenn ich hier sehe, dass ein Mechanikerjob ausgeschrieben ist, und da jemand gesucht wird, der doch bitte gerne Überstunden arbeitet – 2, 2, 3, Schicht abwechselnd – natürlich eigenes Werkzeug mitbringen soll und dann schöne 11 Dollar pro Stunde verdient – ja dann vermisse ich doch meine SKF. Erst recht wenn man bedenkt, dass eine Packung Müsliriegel 5 Dollar kostet.

Und ja ich könnte auch so langsam mal wieder eine SKF Currywurst vertragen oder einen Döner, eine richtige Bratwurst mit schön Sauerkraut oder Rouladen. Mir läuft schon bei dem Gedanken das Wasser im Mund zusammen haha 🙂

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Aber ja, man weiß erst wie schön man es hat, wenn man es gerade nicht mehr hat. Auch beim Thema Schulsystem bleibe ich lieber Deutschland treu. Ich war ja an einem technischen College – also eher vergleichbar mit einer Volkshochschule mit dem Durschnittsalter von gefühlt 30. Es war auch vergleichsweise eine extrem günstige Schule und so war leider auch der Bildungsstandard. Selbst die Berufsschule in Deutschland fiel mir sehr einfach, jedoch hier: Bekam ich Punkte fürs anwesend sein, Punkte dafür, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe (und nicht wie!) oder ich habe Tests geschrieben – welche ich auf einer Online Plattform üben konnte. Ich habe auch in 2 von 3 Fächern die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist mehr als 100 Prozent zu kriegen. Irgendwie verrückt. Auch verrückt sind die Buchpreise. Es werden gewisse Bücher von der Schule gefordert und die Firmen passen ihre Preise danach an. Da kann schon mal ein Buch 150 Dollar kosten – und nein – es ist nicht vergoldet.

Natürlich auch ein bisschen das Vorurteil mit ein paar überflüssigen Kilos mehr nach hause zu kommen: und nun? Nun ernähre ich mich besser, als ich es wohl je in Deutschland gemacht habe. Habe sogar abgenommen. Ich lerne gesundes kochen und schnappe mir sofort alle leckeren Rezepte von meiner Hostmum. Da hatte ich wohl sehr viel Glück – und lerne nun etwas fürs Leben!

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Ich bin außerdem viel selbstsicherer geworden. Ich hatte auch sehr viel Respekt im amerikanischen Kongress zu arbeiten und Anrufe von Wählern anzunehmen und zu beantworten – und jetzt ? – jetzt bekomme ich sogar darin schon eine gewisse Routine. Mein Englisch hat sich sehr verbessert – aber aus Deutsch wurde mittlerweile mehr ein Denglisch oder ein Fränklisch haha 🙂 Das gibt sich sicher schnell wieder, wenn ich zurück bin.

Ich bin sehr viel erwachsener geworden – man hat halt jetzt nicht immer Mutter und Vater zu Rat, die einem die Probleme lösen oder einem helfen. Auf eigenen Beinen zu stehen tut gut ist aber auch manchmal ganz schön anstrengend, da bin ich ja ehrlich 🙂

Ich vermisse manchmal Dinge, die ich sonst für selbstverständlich gehalten habe z.B. Handballtraining. Was würde ich nur darum geben mal ein paar Spiele mitzuspielen – oder nur zu zuschauen. Da kommt mein Dodgeball eben nicht ran.

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Ich glaube, dieses Jahr hat mich auch sehr viel politischer werden lassen. Ein Freund hier meinte neulich zu mir ich wäre ein Politiker. Ich sage ihm, nur weil mich meine Umgebung interessiert, macht mich das nicht zum Politiker. Aber ja – ich lese viel mehr darüber. Ich bin manchmal ganz erstaunt, was hier in Amerika so abgeht. Gewissenskonflikte waren und sind natürlich auch durch mein Praktikum im Kongress verstärkt worden.

Die vergangenen 6 Monate haben mich zu einem besseren Menschen geprägt – einem Weltoffenen. Das Gefühl von Heimweh hatte ich nie wirklich – das Fernweh überwiegt wohl immer noch mehr als zuvor. Aber ich bin auch froh – am anderen Ende der Welt ein sicheres Stück Heimat – mit all den tollen Menschen zu haben.

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Dieses halbe Jahr hat mir gezeigt, wie viel ich doch aus eigener Kraft erreichen kann und auch wie wichtig es ist, dass es solche Austauschprogramme gibt. Jede Erfahrung die ich mit nach Deutschland bringe bereichert nicht nur mich, sondern auch mein Umgebung. Und jede Begegnung, die ich in Amerika habe, verändert die Sicht der Menschen um mich herum. Ich bin dankbar – so unendlich dankbar, dass mein größter Traum in Erfüllung gegangen ist. Ein Privileg von dem ich gar nicht weiß, womit ich das eigentlich verdient habe.

Ich muss mir wohl für die Zukunft nun einen neuen großen Traum suchen – aber für die nächsten 180 Tage – da lebe ich erstmal diesen!

6 Gedanken zu „#15 Halbzeit

  1. Ja – liebe Dani: „Man wächst mit seinen Aufgaben“. Allerdings gehört zum Wachsen auch immer eine ganzes Stück Mut dazu. Ich freu mich für Dich, dass Du diese wunderbaren Erfahrungen sammeln darfst und bin schon sehr gespannt, welche Erfahrungen Du bei Deiner Rückkehr sammeln darfst. Die Welt hier in Deutschland ist ja auch nicht stehen geblieben und die Menschen egal ob hier oder dort verändern sich täglich. Ich wünsche Dir noch einen interessanten Aufenthalt und freu mich auf ein Wiedersehen. Lg Ruth

  2. Liebe Frau Vogel,
    toll….Sie haben hier einen super Blog erstellt, den ich schon einige Zeit verfolge. Vor allem sind Sie in einer ganz spannenden Zeit in den USA. Sie erhalten Einblicke, die man hier eben nicht in der Presse liest.
    Ich selbst war 1 Jahr in Südafrika zu einem Austausch, ich kann Sie sehr gut verstehen.
    Bei der HWK versuche ich als Mobilitätsberater täglich, alle Azubis und Betriebe von Auslandsaufenthalten zu überzeugen und über Erasmus+ ins Ausland zu gehen. Natürlich bewerbe ich auch das PPP.
    Ihnen weiterhin viele tolle Erfahrungen und passen Sie gut auf sich auf.
    Grüße aus Kassel

    Matthias Werner

    1. Dankeschön! Ich freue mich sehr, dass Sie meinen Blog erfolgen. Hoffentlich können Sie noch viele weitere Menschen davon überzeugen eine Auslandserfahrung zu machen! Es lohnt sich

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