#12 Hiking und Zufall

#12 Hiking und Zufall

Hallo Welt!

Wer mir fleißig auf Instagram folgt oder mit mir schreibt weiß, dass ich so oft wie möglich in die Natur fahre, um Wandern zu gehen. Wer mich kennt weiß allerdings auch, dass ich manchmal tollpatschig bin und trotz meines Interesses für Sport eher keine Sportskanone bin. So viel dazu.

Vor zwei Wochen hat es mich mal wieder in die Berge verschlagen. Es sollte mal wieder in das Snoqualmie-Gebiet gehen und ich entschied mich kurzerhand für Mount Si. Zu den Eckdaten: Der Trail ist ca 8 Meilen lang (also 12 km) und man muss 3150ft (also fast 1000 Höhenmeter) zurücklegen um den höchsten Punkt zu erreichen, welcher bei ca. 1200 Meter liegt. Klingt nicht viel, aber als Nicht-Sportskanone ein ganz schönes Stück. Das Wetter war nicht gerade gut, ein nebliger Tag und es nieselte so vor sich hin. Eigentlich ein Tag um zuhause zu sein, aber da kann man schließlich keine schönen Fotos knipsen.

Nach ca. 2/3 des Weges fing meine Hüfte an unendlich wehzutun. Jeder Schritt – eine Qual. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht umzudrehen – aber über eine Stunde Autofahrt – um dann keine schönen Fotos mit nach Hause zu bringen? Undenkbar. Ich habe mir im Kopf immer wieder gesagt – wenn du nicht mehr weiter kannst – dann mach noch einen einzigen Schritt weiter. Ich habe mir Ziele gesetzt. Der nächste Baum in der Ferne – die nächste kurze Pause. Ich habe versucht mich abzulenken so gut es eben ging. Nach einer gefühlten Ewigkeit. Nach vielen Wanderern, die mich überholt haben. Nach viel Schmerzen. Nach unendlich vielen kurzen Stopps – ich hatte mein Ziel erreicht. Dieses Gefühl endlich angekommen zu sein, diese Aussicht, dieses Adrenalin. Keine Worte können das jemals beschreiben. So gut es eben ging habe ich versucht Fotos zu machen, bevor es endgültig nebelig wurde. Hier ein paar Fotos:

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Meine Hostmum ist nicht wirklich glücklich darüber, dass ich meistens alleine wandern gehe. Allerdings mag ich es sehr gerne, da ich mir eben die Zeit nehmen kann die ich brauche, um auf den Gipfel des Berges zu kommen. Ja – es gibt dort auch wilde Tiere – Ja es gibt auch verrückte Menschen da draußen – aber bisher waren alle meine Erfahrungen durchweg positiv. So auch diese: Oben auf dem Berg angekommen, traf ich einen anderen Hiker, der ebenfalls nach verschiedenen Aussichtspunkten gesucht hat.  Wir kamen ins Gespräch – da ich kaum Hoffnung auf weniger Nebel hatte beschloss ich mit ihm den Weg zurück nach unten anzutreten. Wir hatten das gleiche Tempo nach unten, wir redeten. Wir lachten. Wir diskutieren über Gott und die Welt, über Politik, über Reisen, über das CBYX, über seinen Job, über seine Reisen nach Europa und Deutschland und und und… Ich kann euch sagen: die Zeit verging rasend schnell – fast schon wie im Flug – und da waren wir auch schon wieder angekommen. Am Parkplatz wo sich unsere Wege trennten. Es ist einfach unfassbar, wie unterschiedlich man Zeit wahrnehmen kann. Schmerzgeplagte, unendlich lange Sekunden auf dem Weg nach oben – und rasend schnelle Minuten nach unten. Ich habe mit meinem Hikingbuddy von Mount Si Nummern ausgetauscht – falls man sich nochmal treffen möchte, evtl mit seiner Freundin, da diese deutsch spricht. Zuhause angekommen gab es nach all der Nässe erstmal eine heiße Schokolade – das Beste was man sich gönnen kann.

 

Letztes Wochenende wollte ich dann wieder zum Wandern losziehen. Meine Hostmum – wie immer – nicht begeistert, dass ich alleine losziehen möchte und sie fragte mich, ob ich nicht meinem Hikingbuddy vom Mount Si schreiben möchte. Das tat ich auch, leider war dieser schon zum Snowboarden verabredet, jedoch konnte er mir ein paar Tipps für Trails geben. Letztendlich bin ich dann nicht losgezogen, da ein Freund mich gefragt hatte, ob ich mit nach Seattle möchte um zum Geburtstag von Bruce Lee dessen Grab zu besuchen. Das habe ich auch getan – anschließend sind wir zu den Garden d’lights nach Bellvue. Alles in allem ein schöner Tag, jedoch fehlte mir das Wandern schon sehr.

 

Dieses Wochenende habe ich es dann nicht mehr ausgehalten. Ich musste raus. Leider war aber auch Schneechaos für diesen Tag vorhergesagt. Auf der Homepage konnte ich leider nicht genau feststellen, wie genau die Straßen und Trailverhältnisse sind. Der Himmel war zuhause noch blau, doch je weiter ich in das Snoqualmie-Gebiet gefahren bin, desto dunkler wurde es. Wir sagen es mal so: die Straßenverhältnisse waren fragwürdig, Schneeketten sehr zu empfehlen und ich war heil froh es gerade so zum Parkplatz meines auserwählten Trails geschafft zu haben. Fragend saß ich da in meinem Auto, der Schnee leise rieselnd. Werde ich es wohl bei diesen Straßenverhältnissen zurück schaffen? Schaffe ich es überhaupt aus diesem Parkplatz raus und noch viel wichtiger – wie sieht der Trail aus? Fragen über Fragen. Aber letztendlich siegte dann wieder mein Optimismus: Ich bin ja schließlich nicht umsonst fast 1,5h Auto gefahren, um dann einfach wieder umzudrehen. Also die neuen Wanderschuhe angezogen (mein eigenes Weihnachtsgeschenk an mich selbst hihi 🙂 ) und los ging die Sache. Schon kurz nach Beginn des Trails stellte ich fest, dass ich die Schneemassen sehr unterschätzt hatte. Wenig Schnee hieß bis zur Hüfte – viel Schnee hieß mehr Schnee, als ich groß bin. Zu meinem Erschrecken kam es allerdings noch schneller – der „Trail“ auf dem ich so froh unter munter lief war gar nicht der Trail, sondern bereits mehr als hüfthoch Schnee. Erfahrungen konnte ich sehr schnell sammeln, als ich das erste mal darin versunken bin.

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Da ich Sparfuchs allerdings für die kurze Wintersaison keine Snowshoes kaufen möchte, mussten meine normalen Hikingboots herhalten. Nach etwa 20 Minuten wandern kam ich erneut zu einem Wasserfall, einem Breiten. Nunja – um mal wieder auf das Thema tollpatschig zurück zu kommen. 4 Schritte über den Wasserfall konnte ich trockenen Fußes schaffen, bis ich beim 5. und letzten Schritt bis über den Knöchel in das Wasser getreten bin und das Eiswasser mir oben in den Schuh reinlief. Klasse Gefühl – da ist man 1,5 h Auto gefahren, hat sich 20 Minuten in den Schnee gekämpft und dann das! Egal – ich war zumindest ein wenig vorbereitet. Ein paar frische Socken aus dem Rucksack geholt und versucht im Flamingomodus den nassen Wanderschuh auszuziehen, samt Socke um dann die neue Socke anzuziehen. War klar, dass das nix wird und so landete ich halbwegs in Schnee, zumindest mein kompletter Arm zum Gleichgewicht halten versank im Schnee. Nasse Füße hatte ich also trotzdem, doch der Sockenwechsel war sehr wichtig.

Ich kämpfte mich weiter durch den Schnee – der mir nur so oben in die Schuhe lief. Mein Ziel: ich schaffe es sowieso nicht zum Trailende – so wollte ich also nur 25 Minuten weiter gehen, um dann nach 45 Minuten wieder umzudrehen. Ich lief also froh und munter weiter, immer weiter. Dutzende Male bis zur Hüfte im Schnee versinkend. Immer weiter. Du schaffst das. Ich traf einige Leute und fragte nach dem Weg. Wie lange wird es denn wohl noch zum Trailende dauern? Die Antwort war dann meist nur: „Keine Ahnung, wir sind schon vorher umgedreht“. Egal, ich wusste, dass ich es nicht schaffen werde vor der Dunkelheit das Ende zu erreichen, aber ein bisschen kann ich schon noch weiter gehen. Wäre ja gelacht wenn ich keine Fotos machen könnte.

Ich lief also weiter, immer weiter bis ich Menschen traf, die meinten – es ist zwar noch ein Stück – aber du kannst das schaffen! Ich kämpfte mich durch die meterhohen Schneemassen, und traf Menschen die etwa die gleiche Geschwindigkeit wie ich hatten. So liefen wir gemeinsam weiter. Schon lustig – ich dachte ich mit meinen wasserfesten Wanderstiefeln wäre nicht ausreichend vorbereitet, aber die Frau, die vor mir lief hatte nur Nikes an. NUR NIKES. Verrückte Menschen. Irgendwann waren die Leute schneller als ich und ich verlor den Anschluss. Egal, Fotos knipsen und weiter geht’s. Ich musste sehr mit mir kämpfen, denn die Schneemassen wurden immer größer und teilweise versank ich von 10 Schritten mindestens 3. Es kamen mir immer mehr Leute entgegen, die meinten – wenn du es bis hierhin geschafft hast, dann schaffst du den Rest auch. Ich lies mir die Zeit die ich brauchte und kämpfte mich langsam aber stetig voran.

Es war sehr Kräfte zährend, sehr anstrengend – ich kann euch das gar nicht oft genug sagen. Aber es ist sowas von wert! Ich konnte schon das Ende sehen, da kamen mir ein paar Hiker entgegen. Und plötzlich sprach einer von Ihnen zu mir: Ich kenne dich, du bist die Frau von Mount Si. Und wahrlich – es war mein Hikingbuddy von Mount Si. Ich brauche euch sicherlich nicht erklären, dass es unzählig viele Trails in Washington State gibt. Der Zufall – genau zwei Wochen nach unserem ersten Aufeinandertreffen sich ohne Absprache wieder zu sehen, zur gleichen Zeit – am gleichen Ort- unfassbar. Zufälle passieren – vielleicht auch ein bisschen Schicksal. Ich lachte – und bahnte mir alleine meinen restlichen Weg nach oben. Da hörte ich die Stimme erneut: Mein Hikingbuddy war umgedreht, um mir nach oben zu folgen. Er fragte mich: Wie hast du diesen Trail bitte ohne Snowshoes geschafft? Ich antwortete nur – „I don’t know – I just keep going“

Er zeigte mir, wo ich den besten Blick auf den Snow Lake hatte. Die Letzten 30 Schritte waren pures Versinken in Schnee. Die Aussicht war  so grau, windig und verschneit, sodass ich nichtmal versucht habe ein Foto zu machen. Meine Finger waren so starr, dass ich sie nicht mehr anwinkeln konnte. So schnell ich konnte hatte ich meine Handschuhe aus dem Rucksack geholt und ich konnte bei den eisigen Temperaturen fühlen, wie schnell meine Körpertemperatur sank und die nassen Füße kalt wurden. Auf dem Weg nach unten versank ich erneut – Gott sei Dank stand mir mein Hikingbuddy zur Seite und gab mir seine Hand um mich aus dem Schnee zu befreien. Wir liefen gemeinsam nach unten, wir redeten, wir lachten, wir versanken in Schnee – aber wir liefen weiter. Ich kann euch sagen: Die Zeit verging erneut wie im Flug. All die Mühe, all die Anstrengung, all der Schweiß und all die kalten, nassen Füße waren fast vergessen. Es blieb sogar Zeit für ein paar Fotos. Ich glaube es war Schicksal – ohne ihn hätte ich es nicht so schnell nach unten geschafft, nicht so viel Spaß gehabt. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie froh ich war ihn auf dem Gipfel des Berges zu treffen. Er hat mich aus dem Schnee gezogen, meine Kamera gehalten, dass diese nicht im Schnee landet. Am Parkplatz angekommen gab ich ihm eine dicke Umarmung – die hatte er sich wirklich verdient. Ich kam ohne Probleme aus dem Parkplatz zurück auf die Straße und ich bahnte mir langsam meinen Weg nach hause.

Ja, es gibt vielleicht auch Verrückte dadraußen. Er ist definitiv keiner davon. Menschen wie er machen mein Auslandsjahr so einmalig – so außergewöhnlich. Hilfsbereit, stets ein offenes Ort, für Diskussionen bereit und stets freundlich.

Es sind Menschen wie diese – die meine Zeit hier so bereichern.

Ich hoffe die zuhause verbliebenen sind mir nicht all zu böse, wenn ich nicht immer Zeit für sie habe. Aber ich glaube Washington State hat noch so einige Abenteuer für mich übrig, die gelebt werden müssen.

Bis bald meine Freunde, und genießt diese Fotos:

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